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- | == Suppe versalzen im Kali-Revier == | + | == Suppe versalzen im Kalirevier == |
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- | Ein Gastbeitrag zur aktuellen Diskussion um K+S in AGORA Frühling 2016
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- | Der Kaliabbau ist seit fast 100 Jahren mit Unterbrechungen in Osthessen ein Wirtschaftsfaktor.
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- | Bekannt sind „die weißen Berge“ bei Philippsthal, Heringen und Neuhof. Von dort oben leuchtet
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- | auch ein Gipfelkreuz hinunter ins Tal mit der frohen Botschaft von
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- | sicheren Arbeitsplätzen und steuerlichen Einnahmen für die Gemeinden.
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- | Konzerte werden auf „dem Berg“ veranstaltet, und bei
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- | vielen Anlässen schmettert der Bergmannschor in seinen schmucken
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- | traditionellen Uniformen sein „Der Steiger kommt“. Dadurch wird
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- | der Kaliberg nicht nur mit Tradition geschmückt, er wird förmlich zu einem
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- | festen Bestandteil der Region.
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- | Doch dieses „heile Weltbild“ wird derzeit erschüttert: Razzien in der
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- | K+S Konzernzentrale in Kassel, Anklageerhebung gegen Manager
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- | wegen Umweltvergehen, Ängste bei den Kollegen und ihren Angehörigen,
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- | dass ihr Kaliabbau vor die Hunde geht.
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- | Was ist geschehen, was sind die Hintergründe?
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- | Man muss dazu wissen, dass die „weißen Berge“ nichts anderes sind
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- | als Restehalden. Ein nachhaltiger Plan, was letztendlich mit dem Material
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- | passiert, wurde bis heute immer in Aussicht gestellt, konkreter
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- | wurde man jedoch noch nicht. Fakt ist, dass durch Niederschläge Salze
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- | aus den Halden gelöst werden.
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- | Diese Regenauswaschungen von den Halden bei Neuhof ließ man
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- | einfach versickern, sie wurden in tiefe Erdschichten „versenkt“ oder
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- | in die Flüsse Fliede und damit in die Fulda geleitet. Im Moment fließen
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- | die salzigen Auswaschungen durch eine extra dafür gebaute Pipeline in
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- | Richtung Osten an die Werra. Dort werden sie in der Produktion noch
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- | einmal genutzt und schließlich in den Fluss geleitet oder in den tieferen
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- | Erdschichten östlich von Bad Hersfeld und in der „Gerstunger
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- | Mulde“ in Thüringen versenkt.
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- | Selbige Entsorgungswege der Laugen müssen vom Regierungspräsidium
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- | genehmigt werden, was bis dato auch immer passierte. Denn der
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- | Konzern fand bis jetzt immer Mittel und Wege, die Versenkerlaubnisse
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- | und Einleitgenehmigungen zu erhalten.
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- | Mindestens genauso lange aber stand und stehen die zuständige
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- | Behörde und die jeweilige Landesregierungin Hessen unter Druck.
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- | Als erstes durch die Werra-Weser Anrainergemeinden, durch Wissenschaftler,
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- | durch die neu in den Landtag eingezogene Fraktion „Die
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- | LINKE“ und schließlich durch Umweltverbände, die alle vom Kalikonzern
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- | eine Änderung der Praxis im Umgang mit Haldenauswaschungen
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- | und Produktionsabwässern verlangen. Denn das Problem beim
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- | Versenken ist, dass es zu einer Versalzung des Trinkwassers führt. Das
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- | Einleiten der Laugen in die Flüsse verändert die Artenvielfalt dieser
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- | Biotope, und selbst in der salzigen Nordsee, dem UNESCO Weltkulturerbe
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- | Wattenmeer, stellen die Laugen ganz einfach Abwasser dar; die
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- | chemische Zusammensetzung ist komplett anders als das Meerwasser.
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- | Der Konzern versprach mit gut klingenden Konzepten wie „Neue integrierte
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- | Salzlaststeuerung (NIS)“, „Vier-Phasen-Plan“ und „dreidimensionales
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- | Grundwassermodell“, sowie diversen Pipeline-Plänen Besserung und erhielt immer wieder
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- | Aufschub bei der Einhaltung der Umweltgesetze. Allen Beteiligten
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- | war jedoch lange bekannt, dass die letzte Versenkgenehmigung zum
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- | 30. November 2015 auslaufen würde.
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- | Technisch vorbereitet war die K+S AG offensichtlich nicht. „Die
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- | Hoffnung stirbt zuletzt“ titelt eine Aktionärszeitung noch letztens am
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- | 4. Dezember 2015.
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- | Und es stellt sich die Frage: Hoffnung auf was? Wie soll von einem
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- | Tag auf den anderen die Produktion umweltfreundlich umgestellt werden,
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- | wenn sich der Konzern schlicht weigert den Stand der Technik umzusetzen
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- | und mit immer neuen Verzögerungstaktiken Einfl uss nimmt,
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- | damit alles so weiter laufen kann wie bisher? Mit dieser Erpressungstaktik
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- | nimmt der Konzern eine ganze Region in Geiselhaft.
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- | Dabei ist eine andere Produktionstechnik möglich.
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- | Produktionsabwässer können z.B. eingedampft werden. Auch entstehen
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- | Haldenabwässer erst gar nicht, wenn Versatzbergbau betrieben
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- | wird und die Halden nicht nachkommenden Generationen überlassen
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- | werden.
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- | Doch passiert ist das Gegenteil. Die Halden wurden und werden immer
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- | größer. Die gigantischen Haldenerweiterungen an der Werra und im
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- | Fuldaer Land wurden nur mit dem Vorbehalt genehmigt, dass der Entsorgungsweg
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- | für die Halden- und Produktionsabwässer geregelt wird. Und dies ist er offensichtlich
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- | immer noch nicht. Das müsste eigentlich die Genehmigungsbehörden
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- | auf den Plan rufen, die einen sofortigen Haldenabbau fordern
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- | müssten, genauso, wie die Halden ab sofort unter Tage zu bringen.
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- | Auch an der Werra ist eine abwasserarme Produktion möglich, wie
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- | sie inzwischen in Neuhof bei der Aufbereitung der Kaliprodukte seit
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- | Jahrzehnten praktiziert wird.
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- | Doch diese Anforderungen vermochten die jeweiligen Landesregierungen
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- | gegen den Konzern nicht umzusetzen, dessen Ziel offensichtlich
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- | einzig und allein die Profitmaximierung ist. Dabei müsste das Land
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- | Hessen einfach nur das umsetzen, was zum Kalibergbau in der Hessischen
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- | Verfassung steht:
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- | Verfassung des Landes Hessen Artikel 41 - Sofortsozialisierung von Kohle
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- | und Stahl, Erzen und Kali, Energie und Eisenbahnen
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- | (1) Mit Inkrafttreten dieser Verfassung werden
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- | 1. in Gemeineigentum überführt: der
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- | Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe
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- | der Eisen- und Stahlerzeugung,
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- | die Betriebe der Energiewirtschaft und
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- | das an Schienen oder Oberleitungen
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- | gebundene Verkehrswesen,
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- | 2. vom Staate beaufsichtigt oder verwaltet,
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- | die Großbanken und Versicherungsunternehmen
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- | und diejenigen in
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- | Ziffer 1 genannten Betriebe, deren Sitz
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- | nicht in Hessen liegt.
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- | Die Hessische Landesregierung schafft es nicht, den Konzern zu
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- | einer Produktion zu veranlassen, die nicht die Grundwasserleiter
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- | irreparabel beschädigt und die Wasserrahmenrichtlinie für Oberflächengewässer achtet. Die Grüne
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- | Umweltministerin Priska Hinz zeigt sogar selbst Schleichwege auf, wie
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- | sich der Konzern wieder durchmogeln kann. Am 3. Dezember 2015
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- | stellte sie einen „Masterplan Salzreduktion“ vor, einen Tag später
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- | sogar einen „erweiterten Masterplan Salzreduktion“ und fabulierte
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- | wörtlich: „Dies ist nicht nur eine langfristige Lösung, die auf breiter
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- | Zustimmung basiert, sondern wir verbinden darin auch die ökologischen
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- | Anforderungen mit der Erhaltung des Kalistandorts.“ Gefallene
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- | Stichworte zum „Plan“ verdeutlichen, dass es sich wieder um
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- | Luftnummern handelt. So spricht er von „Verdampfung der Salzabwässer“
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- | was nur Sinn macht, wenn die Rückstände unter Tage kommen.
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- | Doch davon kein Wort. Vielmehr spricht man von einer früher beginnende
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- | Haldenabdeckung, was doch nur bedeuten kann, dass die Halden
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- | da bleiben sollen, wo sie sind. Desweiteren beinhaltet der Masterplan
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- | eine Einstapelung unter Tage als Pilotprojekt, was nichts anderes
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- | bedeutet, als alte Kalibergwerke in Thüringen zu fl uten. Als letztes wird
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- | die Oberweser-Pipeline genannt, was jedoch klar gegen die Wasserrahmenrichtlinien
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- | verstößt.
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- | Interessanterweise jedoch schaltete der Konzern auf stur. Viele
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- | Kalikumpel wurden sogar ab 1. Dezember 2015 in Zwangsurlaub geschickt
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- | und die normal Arbeitenden per Interessensausgleich zu Lohnkürzungen
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- | verdonnert. Dies diente dem Zweck, Behörden, Landesregierung
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- | und Umweltministerin noch gefügiger zu machen. Am 18.
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- | Dezember schon hatte diese Taktik Erfolg: Das Regierungspräsidium
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- | Kassel gab eine erneute befristete Versenkerlaubnis und bezeichnete
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- | es als Zwischenlösung für K+S.
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- | Für den Konzern also alles wieder „in Butter“?
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- | Nein, denn sie haben nicht mit den erfolgreichen Bemühungen der
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- | Gerstunger Aufmüpfigen gerechnet, die um ihr Trinkwasser kämpfen
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- | und dafür streiten, dass die Machenschaften des Konzerns aufgedeckt
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- | werden. Auch in Hessen fanden sie vereinzelte Unterstützer
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- | in diesem Streit. Sie sammelten Fakten, Merkwürdigkeiten und Zusammenhänge.
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- | Schon lange wurde eine Kooperation der Genehmigungsbehörde
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- | mit K+S über das normale Maß hinaus vermutet. Jetzt erhärten
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- | sich die Verdachtsmomente und das Regierungspräsidium Kassel
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- | steht in der Kritik, dass es K+S die Manipulation von Akten ermöglicht
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- | hätte. Zumindest ist nun so viel Material vorhanden, dass der Staatsanwalt
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- | tätig werden muss.
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- | Dazu ein kleines nebensächliches Beispiel, das aufzeigt, wie Antragsteller
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- | K+S und Genehmigungsbehörde in Kassel kooperieren. Im
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- | Jahr 2010 hatte ich mich mit der Einwendung gegen die Laugenpipeline
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- | von Neuhof an die Werra befasst. Viele Stunden hatte ich im
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- | Fuldaer Bürgerbüro verbracht und die 16 Aktenordner der Unterlagen
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- | von K+S gesichtet. Ich versuchte beim Bergamt in Kassel eine CD
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- | mit den Auslegungsunterlagen der Behörde zu bekommen, dies wurde
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- | mir auch zunächst zugesichert und ich sollte meine Anschrift mitteilen.
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- | Dann erhielt ich die Antwort: „Sehr geehrte Frau Masche, K+S hat mir
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- | mitgeteilt, dass Ihnen kein digitaler Planungsordner zur Verfügung gestellt
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- | wird. Von daher darf ich Sie auf die Einsichtnahme vor Ort in die
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- | Papierunterlagen verweisen.“
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- | Vielleicht war dem Mitarbeiter der Behörde gar nicht klar, was er da
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- | schrieb: Die Behörde als durchführendes Organ des Genehmigungsverfahrens
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- | lässt sich von K+S vorschreiben, wer Zugang zu den digitalen Planungsunterlagen haben
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- | darf, die Bestandteil der öffentlichen Auslegung waren. Ich muss
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- | auch davon ausgehen, dass der Datenschutz durch die Behörde nicht
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- | gewahrt wurde.
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- | Im großen Stil sind wohl ähnliche Vorgänge jetzt bei den Hausdurchsuchungen
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- | in der Konzernzentrale und bei der thüringischen Genehmigungsbehörde
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- | aufgefunden worden.
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- | Aus Abgeordnetenkreisen im Hessischen Landtag ist zu vernehmen,
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- | dass die Vorwürfe schwerwiegend sind.
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- | Vielleicht so schwerwiegend, dass der Konzern, dessen Aktien seit
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- | Herbst 2015 im Sinkflug sind, die Segel streicht, den Kaliabbau aufgibt.
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- | Dabei sind die Profite aus den letzten 100 Jahren längst eingefahren.
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- | Die Abfälle würden sie so dankenswerter Weise der Allgemeinheit
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- | und zukünftigen Generationen hinterlassen.
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- | Das Szenario, dass wir als Kritiker der Umweltverschmutzungen
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- | durch die Kaliindustrie verhindern wollten, scheint nun in Gang gesetzt
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- | und wir Bürgerinnen und Bürger bleiben sitzen auf unseren irreparabel
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- | versalzenen Grundwasserleitern, den Haldenungetümen aus denen noch über 1000 Jahre Ewigkeitskosten entstehen und den zu
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- | befürchtenden Geländeabsenkungen wegen fehlender Verfüllungen.
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- | Anfragen in Kreistag und Stadtparlament hatten bereits 2011 ergeben,
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- | dass K+S messbare Absenkungen zugibt. Und das ist womöglich
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- | erst der Anfang. Werden die Strecken nicht verfüllt und bleibt der
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- | Abraum auf der Halde liegen, schließen sich die unterirdischen Hohlräume
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- | und es können schlimmstenfalls Erdfälle und Krater entstehen
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- | oder bei unregelmäßigen, stetigen Absenkungen Risse in Gebäuden,
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- | die bis zur Unbewohnbarkeit führen können. Versalzungen an Quellwassern,
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- | wie z.B. in der Quelle in Johannisberg wurden auch schon
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- | zugegeben. Wer weiß, was noch alles zutage tritt.
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- | Spätestens jetzt muss der Konzern verpflichtet werden, die Umweltschäden
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- | zu beseitigen. Auch das schafft und erhält Arbeitsplätze in
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- | der Kaliindustrie und sichert den Kolleginnen und Kollegen ihr Auskommen.
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- | Zu diesem Zwecke meine ich sollte jeglicher Besitz der Aktiengesellschaft
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- | gerichtlich beschlagnahmt und sichergestellt werden.
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- | Karin Masche
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- | Die Autorin ist seit 2011 Stadtverordnete
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- | der Fraktion „Die Linke.Offene
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- | Liste“, zuvor zum Landeswahlprogramm
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- | 2006 hat sie das Thema
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- | Kaliindustrie in die Diskussion in
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- | das Landeswahlprogramm „Die
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- | LINKE eingebracht und kandidierte
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- | mit diesem Schwerpunktthema
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- | 2007 zum Hessischen Landtag.
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- | == Suppe versalzen im Kalirevier ==
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| '''Konzern nimmt Beschäftigte in Geiselhaft, um Abwässermenge nicht verringern zu müssen | | '''Konzern nimmt Beschäftigte in Geiselhaft, um Abwässermenge nicht verringern zu müssen |
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